Heiligsprechungen in der katholischen Kirche haben viel von ihrer Kraft verloren. Innerkirchlich mag die Inflation von Heiligsprechungen, gerade auch von Päpsten, dazu geführt haben; politische Interessen haben tiefe, spirituelle Dimension überlagert. Auch die Kriterien des Prozessverfahrens, bis jemand zu den Altären erhoben wird, sind als überholt in die Kritik geraten. Gesellschaftlich gesehen unterliegen Heiligsprechungen dem Verdacht, sie würden die negativen Seiten eines Menschen, die es immer gibt, vertuschen wollen. Geschönte Heilige mögen heute jedoch nicht mehr zu überzeugen. Ihre Heiligkeit wird nicht in der Fehlerlosigkeit sichtbar, sondern darin, ob sie im Geist Gottes mit Fehlern umgehen kann. Dass die auch Kirche zu ihren Fehlern steht und zuerst in den eigenen Reihen die Werte des Evangeliums lebt, ist eine der grossen Forderungen unserer Zeit. Nur so kann sie ihre Glaubwürdigkeit wieder finden.
Nun hat Papst Franziskus am 15. Mai Charles de Foucauld heiliggesprochen – zurecht, denn er verkörpert ein christliches Urgestein, das über allen Verdacht erhaben ist. In der Radikalität eines einfachen Lebensstils, einer unmittelbaren Geschwisterlichkeit, die er mit den einfachsten und ärmsten Menschen teilen wollte, bestand sein Charisma. Die Menschlichkeit, die sein Lebenstil jenseits aller sozialen Rollen und Hierarchien, Ehren und Verdiensten vermitteln will, ist befreiend. Weil der Wert jedes Menschen aus seiner Beziehung mit Gott stammt, hat er dieselbe Würde und verdient dieselbe Zuneigung, allen gesellschaftlichen Bestimmungen zum Trotz. Wie beglückend ist diese Botschaft des Evangeliums, die den Menschen nackt vor Gott sieht, jenseits aller Selbstinszenierungen und sozialen Dekorationen! Charles de Foucauld konnte sie vermitteln, weil er selbst auf jede gesellschaftliche Auszeichnung verzichtete.
Jenseits des Trappistenklosters, in dem er sieben Jahre gelebt hat, lebte er zunächst in Nazareth gemäss dem verborgenen Leben Jesu, von dem die Evangelien nichts schreiben, das aber den grössten Teil von Jesu Lebenszeit ausmacht. Schliesslich lesen wir in der Bibel nur von den letzten Monaten seines öffentlichen Auftretens, das rasch zum Weg nach Jerusalem führte, wo er umgebracht wurde. Charles de Foucauld wollte das unscheinbare und verborgene Leben Jesu verkörpern und erfahrbar machen. Gerne hätte er dazu eine Gemeinschaft gegründet. Obwohl er es so sehr gewünscht und auch eine kleine Regel dazu geschrieben hat, hat er dazu keine unmittelbaren Nachahmer gefunden. Erst nach seinem Tod sind Gemeinschaften entstanden, die sich auf seinen Geist berufen, die „Kleinen Schwestern“ wie auch die „Kleinen Brüder“ zum Beispiel. Er selbst aber war inspiriert und angezogen vom einfachen Wüstenleben der Tuareg und begab sich so schliesslich in ihre Nordafrikanische Wüste. Er wollte diesem muslimischen Stamm brüderlich verbunden leben und im Geist von Jesu Alltagsleben unter ihnen präsent sein. Wurde er am 1. Dezember 1916 von einem von ihnen umgebracht, weil dieser die Brüderlichkeit eines Fremden nicht ertrug? Oder wurde er getötet, weil der Schatten des ersten Weltkriegs und das Gerangels der europäischen Kolonialmächte ihn, den Franzosen, auch in der Wüste erreichte?
Ignatius von Loyola meinte, der Jesuit sei ein Karthäuser in der Welt. Heute könnte man hinzufügen, dass der Jesuit wie Charles de Foucauld in völliger Einfachheit in den verschiedenen Aufgaben der Welt leben soll. Wie ein Mönch, wie Charles de Foucauld innerlich frei vor Gott und in Zuneigung zu allen Menschen das Evangelium leben, ohne auf deren sozialen Stand zu achten. Allen alles werdend und Gott ganz zu eigen, um es mit Paulus zu sagen. Letztlich ist dies eine Spiritualität für alle Getauften. Jedem Mitmenschen und jedem Geschöpf ein Bruder und eine Schwester sein. Ausnahmslos allen auf Augenhöhe und in derselben schlichten Würde und Demut, die allen und allem Sterblichen eigen ist, begegnen. So werden alle aufgeblasenen und unverdienten, alle verdienten und erarbeiteten sozialen Rollen aus den Angeln gehoben. Nackt stehen alle Menschen dann voreinander, ohne dass jemand diese Blösse ausnutzen oder irgend jemand sich schämen müsste. Alles Geschöpfe werden in ihrem Sein geachtet, mit ihren Grenzen und in ihrer Schönheit.
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