Wo war Ignatius von Loyola heute vor genau 467 Jahren? Das ist ganz einfach zu wissen. Er war in Rom in seinem Arbeitszimmer; es war sein Todestag. Daher gedenken wir ihm heute. Wo aber war Ignatius heute vor genau 500 Jahren? Diese Frage ist schwieriger zu beantworten. Doch 500 Jahre, ein halbes Jahrtausend, ist eine schöne Zahl. Ich habe versucht, die Antwort herauszufinden. Vor genau 500 Jahren muss er am 31. Juli auf dem Schiff gewesen – sagen wir mal – gerade den südlichsten Punkt des Peloponnes passiert haben. Er ist in der Ägäis kurz vor Rhodos. Am 14. Juli ist er nämlich mit einem Handelsschiff als einer von 7 Pilgern von Venedig aus in See gestochen. Das Schiff hatte 6 Segel und 19 Geschütze; 150 Personen waren an Bord; 32 Mann Besatzung, 26 Dukaten war der Fahrpreis. Das Schiff fuhr bis Zypern. Auch der neue Goverantore für die Insel war an Bord. Niccolo Dolfin sein Name. In Zypern musste Ignatius zu Fuss vom Norden über die Insel wandern, immerhin 55 km. In Larnaka bestieg er ein zweites Schiff. Dieses erreichte sein Ziel, Jaffo, am 25. August. In Syrien wütete die Pest und die Stadt Jaffo hatte Angst, dass auch das Schiff aus Zypern eine Seuche mitbringt. Alle Reisenden mussten auf dem Schiff in Quarantäne bleiben. Es dauerte 6 Tage, bis das Schiff gelöscht werden konnte. Am 1. September betrat Ignatius den Boden des Heiligen Landes. Am 4. September endlich, morgens um 10.00 Uhr, nach zwei Stunden des Reisens im Schweigen, steht er in den Toren von Jerusalem, der Heiligen Stadt, der Stadt Jesu Christi.
Die nächste Frage: Was will Ignatius eigentlich in Jerusalem? Ist er mit „Biblisch Reisen“ unterwegs? Erinnern wir uns: Vor zwei Jahren feierten wir 500 Jahre Bekehrung des Ignatius nach der Kriegsverwundung in Pamplona. Er ist also ein Neubekehrter. Während der Genesung las er in der Legenda aura, eine Sammlung von Heiligenerzählungen. Da las er von der Wallfahrt nach Jerusalem. Pilgern in den Orient war eine gefährliche und aufwendige Sache. Sie galt als die grösste Busse, die ein Umkehrwilliger auf sich nahm. Ist Ignatius nach Jerusalem gepilgert, um für seine Sünden aus dem alten Leben Busse zu tun und zu sühnen? In seinen Aufzeichnungen spricht er nicht davon. Seiner Umgebung, die ihn fragt, warum er nach Jerusalem fährt, antwortet er politisch korrekt: Ich möchte die Heiligen Stätten besuchen. Da fromm beten. Doch Ignatius verrät in seinen späteren Aufzeichnungen, dass er noch eine andere Absicht hatte, die er aber während der Reise verheimlichte. Auch dies drückte der alte Ignatius in einer abgeklärten Sprache aus: Er wollte in Jerusalem den „Seelen helfen“, also Seelsorge betreiben. Mit etwas mehr Klartext: Jerusalem war unter muslimischer Herrschaft. Ignatius wollte in der Heiligen Stadt Muslime zu Christus führen und bekehren. Damals wie heute ein politisch schwieriges Unterfangen.
Was klar ist: Ignatius wollte nicht nach Jerusalem pilgern und danach nach Hause zurück. Er wollte im Heiligen Land für Christus missionieren und so nahe wie möglich am Ort sein, wo Jesus selbst gelebt hat. Die räumliche Nähe, gleichsam das physisch-körperliche Suchen der Nähe des irdischen Jesus hat Ignatius gedrängt. Er war ein taktiler Typ. Ich bin überzeugt, wenn er heute leben würde, so würde er sich gleich ein Tatoo in seine Haut stehen lassen, das IHS mit Sonne – wohl nicht auf die Mukkis, sondern auf die Brust. Er selbst, mit bürgerlichem Namen Inigo, hatte ja den Namen des Ignatius von Antiochien angenommen, weil die Legenda aurea davon berichtet, dass sich der Name Jesus in sein Herz eingebrannt hatte. Als man Ignatius von Antiochia marterte und das Herz herausriss, sei dies entdeckt worden.
Ignatius von Loyola besucht also im September 1523 zusammen mit den anderen Pilgern – es ist eine geführte Reisegruppe; Individualpilgern ist unter den Osmanen nicht erlaubt – die Heiligen Stätten. Am Tag vor der Rückreise der Gruppe, es ist der 22. September, beginnt er Briefe zu schreiben. Die anderen Pilger sollen die Briefe mitnehmen. Er selbst will in Jerusalem bleiben. Doch das ist nicht möglich. Es kommt zur Auseinandersetzung bis dahin, dass ihm der Franziskaner-Kustos mit der Exkommunikation droht. Ignatius gibt nach.
Es folgt die berühmte Episode, dass Ignatius sich vor der erzwungenen Rückkehr unerlaubterweise von der Gruppe absetzt und unbedingt nochmals zum Ölberg will, um genau den Fussabdruck zu sehen, den Jesus hinterlassen hat, als er in den Himmel aufgenommen wurde. Er muss dafür Bestechungsgeld zahlen. Es gelingt. Doch als er von einem Mönch entdeckt wird, wird er geschlagen. Sich in kriegerisch angespannten Gebieten zu bewegen, ist damals wie heute gefährlich. Ich habe mich immer gefragt: Warum wollte Ignatius unbedingt nochmals zum Ölberg? Er war in der Herberge auf dem Zion in der Altstadt von Jerusalem untergebracht. Es hätte doch nahe gelegen, dass er nochmals zum Golgotafelsen und zum Grab Jesu will, dem Ort von Kreuzigung und Auferstehung, nur wenige hundert Meter von der Herberge entfernt, um sich zu verabschieden. Nein, er wollte sich genau so Jerusalem verlassen wie der Himmelfahrende. Er wollte seinen Schlussblick auf die Welt in sich aufzunehmen. Dabei muss er sich die Abschiedsworte des Auferstandenen auf dem Berg zu Herzen genommen haben: „Da trat Jesus auf sie zu und sagte zu ihnen: Mir ist alle Vollmacht gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum geht und macht alle Völker zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Und siehe, ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“ (Mt 28,18f)
Das sind die Schlussworte des Matthäusevangeliums. Das sind sie, die Worte, die Ignatius in eine Gleichnisrede einbauen wird, die er zu einer grossen Meditationsübung formt und dem zweiten Teil seiner spirituellen Übungen vorausstellt. Reifes geistliches Leben ist für ihn nicht eine Bewegung auf Christus zu, auf Jerusalem und auf Gott hin. Sich mit Gott vertraut zu machen und im näher zu kommen, ist Vorarbeit. Lange, lebenslange Vorarbeit. Reifes geistliche Leben aber als eine Bewegung von Gott weg, von Jerusalem aus gesandt sein, Christus gleichsam im Rücken, um in die ganze Welt und zu allen Völkern zu gehen, um die Frohbotschaft zu leben und zu bezeugen. Wirken und Arbeiten, Reden und Tun im ignatianischen Geist hat Jeronimo Nadal in die Formel gefasst in actione contemplativus, im Tun kontemplativ. Wirken, wie es Ignatius sieht, ist ein Teilhaben an der Sendung Christi in die Welt hinein. Arbeiten ist ein Ruhen in der Bewegung Gottes auf die Wirklichkeit zu, wie verrückt sie sich uns auch darstellt. Tun ist ein Einschwingen in göttliche Schwingung mit liebendem Blick auf die Mitmenschen.
Die geistlichen Übungen sind gerade nicht nur in Manresa geformt worden, wo sich Ignatius vor seine Reise nach Jerusalem aufgehalten hat. Da hat Ignatius seine „Vorarbeit“ gemacht, eine innere Reinigung und Transformation durchlitten. Da ging er durch die harte Hand Gottes, die ihn neu schuf. Sie entspricht dem ersten Teil der spirituellen Übungen. Doch erst in Jerusalem bekommt seine Spiritualität das eigentliche Framing. Vom Wanderprediger Jesus einerseits und vom erhöhten Christus andrerseits will er die Menschen gesandt wissen. Auch Matthäus parallelisiert im 10. Kapitel eine Aussendungsrede des irdischen Jesus und im 28. Kapitel eine Aussendungsrede des Auferstandenen. Oder am Text des Exerzitienbuchs festgemacht: Vom irdischen Jesus, dem Juden, nimmt er das Schema Israel, das Höre Israel, und formt daraus das Prinzip und Fundament und stellt es vor den ersten Teil der geistlichen Übungen. Und vom erhöhten, himmelfahrenden Christus nimmt der den Sendungsauftrag und setzte in Paradigma vor den zweiten Teil der geistlichen Übungen.
Auch wenn Ignatius dann am 23. September 1523 Jerusalem verlassen hat und am 3. Oktober mit dem Schiff Jaffo wieder in Richtung Europa verliess – er sollte ja nie mehr ins Heilige Land zurückkehren, obwohl er es später wieder versuchte – blieb er sein ganzes Leben dem Geist Jerusalems und des Himmelfahrtsereignis treu. Es ist kein Zufall, dass überproportional viele konvertierte Juden in den Jesuitenorden eintraten. Polanco, der Sekretär des Ignatius war jüdischer Herkunft; auch Jeronimo Nadel, von dem wir gerade gehört haben; auch der Nachfolger von Ignatius, der zweite Jesuitengeneral Diego Lainez. Im 16. Jahrhundert, in dem die neue Welt, Süd- und Nordamerika, Afrika, Indien und das ferne Asien entdeckt wurden, war zudem klar, dass die Sendung für seinen Orden nur die universale und globale Sendung des himmelfahrenden Christus sein konnte. Zu allen Völkern und Kulturen wollte sich Ignatius gesendet wissen. Und wenn nicht von Jerusalem aus, dann von Rom aus!
Ignatius wollte nach seinem Studium, 1537, also 14 nach seiner Jerusalemwallfahrt zusammen mit seinen Gefährten nochmals nach Jerusalem. Mit dem gleichen Ziel: Muslime zu bekehren. Doch diesmal scheiterten sie schon in Venedig. Es fuhr kein Schiff. So kam es zu Plan B: Ignatius liess sich mit seinen Gefährten in Rom nieder und gründete da den Jesuitenorden. Nun liessen sie sich wenigstens vom Stellvertreter Christi auf Erden in die ganze Welt senden. Der Papst als Nachfolger Petri sollte an Christi statt senden. Die Ironie von der Geschichte ich freilich, dass gerade das Konzept eines „Stellvertreter Christi auf Erden“ formal eigentlich eine islamische Vorstellung ist. Mohammed und später die Kalifen werden als „Stellvertreter Gottes auf Erden“ bezeichnet. Ignatius überträgt es auf das Papsttum, ganz im Sinne: Was man bekämpft, von dem wird man selbst geprägt.
Danke, das freut mich, dass ich heute doch noch etwas Ergiebiges zum Kauen bekommen habe. Liebe Grüße zum Festtag des hl. Ignatius, Maria Gruber!